Archiv der Kategorie: Ethik

Warum Verschwörungstheorien schädlich sind

Impf­geg­ner fin­den, die Masern/­Mump­s/Rö­teln-Imp­fung ver­ur­sa­che mas­si­ve Impf­schä­den. Und Imp­fun­gen nütz­ten eh nichts. All dies trotz der wis­sen­schaft­li­chen Fak­ten: Die Kin­der­krank­hei­ten kön­nen bei emp­find­li­che­ren Per­so­nen fata­le Fol­gen haben. Die Imp­fun­gen füh­ren weit­aus sel­te­ner zur irgend­wel­chen Kom­pli­ka­tio­nen. Es ist gut, wenn die­se Krank­hei­ten ver­schwin­den. Aber die Impf­geg­ner sehen lie­ber, dass man­che Per­so­nen an Masern­kom­pli­ka­tio­nen ster­ben oder Behin­de­run­gen davon­tra­gen, als dass sie selbst einen Pieks in den Arm ertra­gen müs­sen. Chem­trails-Ver­schwö­rer glau­ben, gehei­me staat­li­che Orga­ni­sa­tio­nen füg­ten den weis­sen Aus­stös­sen von Flug­zeu­gen gefähr­li­che, gehirn­ma­ni­pu­lie­ren­de Sub­stan­zen bei. Das könn­te man fast mei­nen, denn es gibt immer mehr Ver­schwö­rungs­theo­rien, die wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se in Fra­ge zu stel­len meinen.

Der Zwei­fel ist die neue Reli­gi­on. Man setzt sich über alles hin­weg, was man in der (nor­ma­ler­wei­se hier­zu­lan­de wis­sen­schaft­lich fun­dier­ten Schu­le) gelernt hat. Man sucht die Inspi­ra­ti­on und das Anders­sein in einer Art “In-Group” bei jenen, die vor­ge­ben, mehr zu wis­sen als Ande­re. Wer woll­te das nicht? Jeder will spe­zi­ell sein. Jeder will sich noch woh­ler füh­len in einer Welt, in der er mehr weiss (oder zu wis­sen glaubt) als alle ande­ren. Doch wenn der Zwei­fel an den wis­sen­schaft­li­chen Fak­ten zu einer Art Reli­gi­on wird, dann hat das Fol­gen für die Gesell­schaft. Näm­lich dann, wenn eine kri­ti­sche Mas­se an Fak­ten­ver­leug­nern erreicht ist. Zum The­ma Ver­schwö­rungs­theo­rien hier auch ein guter Bei­trag von Hugo Stamm: “Men­schen, die glau­ben, die Erde sei eine Schei­be – es gibt sie wirk­lich!”. Er spricht hier nicht nur von Flat-Earthers.

Vie­le Leu­te — auch in mei­nen Frei­den­ker-Krei­sen — lachen über sol­che Ver­schwö­rungs­theo­rien. Natür­lich sind die Theo­rien lach­haft! Das fin­de ich auch. Aber die Anhän­ger und Ver­brei­ter der Theo­rien machen mir zuneh­mend Angst.

Stei­ne im Getrie­be: Das Aus­brei­ten sol­cher Ver­schwö­rungs­theo­rien fin­de ich sehr alar­mie­rend, denn die­se kru­den Geschich­ten sind auf Dau­er nicht lus­tig, son­dern sind Sand (oder eher Fels­bro­cken) im Getrie­be der Ent­wick­lung. Chem­trai­l­an­hän­ger, Impf­ver­schwö­rung, Kli­ma­er­wär­mungs­leug­ner oder Flat-Ear­t­hers: Sie alle scha­den der Gesell­schaft mas­siv, indem sie immer mehr in ihren Bann zie­hen. Die Mensch­heit steht im Moment vor ein paar grös­se­ren Her­aus­for­de­run­gen. Dazu gehö­ren die Ungleich­ver­tei­lung von Nah­rung, Was­ser und medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung, aber auch der Kli­ma­wan­del mit­samt der län­ger­fris­tig uner­läss­li­chen Abkehr von schäd­li­chen oder unzu­rei­chend ver­füg­ba­ren Ener­gie­quel­len (Uran, Erd­öl). Wei­ter geht es mit dem Umbruch im Arbeits- bzw. Lebens­um­feld, bei dem immer mehr Jobs durch Robo­tik und künst­li­che Intel­li­genz weg­zu­fal­len dro­hen. Ich bin über­zeugt davon, dass die Mensch­heit im Grun­de über das Wis­sen ver­fügt, für die­se Auf­ga­ben prak­ti­ka­ble Lösun­gen zu fin­den. Aber die­se sind nur zu errei­chen, wenn mög­lichst alle irgend­wie mitziehen.

Wie will man aber gemein­sam über Lösun­gen dis­ku­tie­ren, wenn ein beson­ders laut schrei­en­der Teil der Bevöl­ke­rung sogar ein­fach nach­voll­zieh­ba­re, wis­sen­schaft­lich x‑fach bewie­se­ne Fak­ten in Fra­ge stellt? Die Flat-Ear­t­hers sind ein Sym­ptom für ein rie­si­ges Pro­blem, das der Lösung ande­rer (ech­ter, noch grös­se­rer) Pro­ble­me im Weg steht.

Die Erfin­der und Ver­brei­ter von Ver­schwö­rungs­theo­rien regen die Men­schen mit per­fi­den psy­cho­lo­gi­schen Tricks dazu an, ihre Intel­li­genz (z.B. logi­sches Den­ken) nicht mehr zu benut­zen. Dar­in fin­de ich nicht viel Lus­ti­ges. Es geht auch wahn­sin­nig viel Ener­gie (und sei es bloss so etwas wie Akti­vis­mus­po­ten­zi­al) ver­lo­ren, wenn man Men­schen für kon­tra­pro­duk­ti­ve oder gar destruk­ti­ve Ange­le­gen­hei­ten mobilisiert.

Gedanken zum kommenden Menschenrechtstag

Mob300x250Entwurf01-Seite001Am 10. Dezember ist der Menschenrechtstag. Dann jährt sich die Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte seitens der Vereinten Nationen.

 

 

 

Jene haben die­se am 10. Dezem­ber 1948 in Paris geneh­migt. Von allen nicht mate­ri­el­len Gütern der Welt sind die Men­schen­rech­te das mit gros­sem Abstand wich­tigs­te. Die Men­schen­rech­te sind der Boden, der eine Demo­kra­tie trägt. Ohne Demo­kra­tie sind kei­ne Men­schen­rech­te wirk­sam. Und ohne aktiv geleb­te Men­schen­rech­te kann auch kei­ne Demo­kra­tie existieren.

Die Men­schen­rech­te zu erar­bei­ten und gegen meist adli­ge oder reli­giö­se Macht­ha­ber zu erstrei­ten hat über­all in der Welt nicht nur Mühe, son­dern auch viel Blut gekos­tet. Unzäh­li­ge muti­ge Men­schen — unab­hän­gig von Alter, Geschlecht, Haut­far­be, Reli­gi­on, Geburts­ort oder Ver­mö­gen — haben über hun­der­te von Jah­ren hin­weg dafür ihr Leben geben, dass die klei­nen und gros­sen Gemein­schaf­ten der Welt einen gemein­sa­men Nen­ner fin­den mögen: eine Samm­lung von unab­ding­ba­ren Rech­ten und Grund­sät­zen, die dem Wesen «Mensch» über­haupt erst eine lebens­wür­di­ge Basis bie­ten. Men­schen­rech­te sind ein Erfolgs­mo­dell. Sind sie in einem Land wirk­sam, geht es jenen Bewoh­ne­rIn­nen besser.

Als Athe­is­tin habe ich kein hei­li­ges Buch, für das ich in den Krieg zie­hen wür­de, für das ich töten oder mei­ne Tötung in Kauf neh­men wür­de. Kein ein­zel­ner Pro­phet oder Guru, kei­ne Reli­gi­on, kei­ne poli­ti­sche Par­tei, nicht ein­mal eine Kul­tur­strö­mung ver­mag mich in die­sem Sin­ne so unab­ding­bar für sich ein­zu­neh­men. Aber als Huma­nis­tin emp­fin­de ich Angrif­fe auf die Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on als Angriff gegen die Mensch­heit und Mensch­lich­keit an sich. Habe ich schon erwähnt, dass Men­schen­rech­te und Demo­kra­tie eine untrenn­ba­re Ein­heit bil­den? Das eine gibt es nicht ohne das andere.

Wer die Men­schen­rech­te angreift, greift die Gemein­schaft aller Men­schen an. Und damit auch mich. Man darf von mir aus über die klas­si­schen Expo­nen­ten der Athe­is­ten-Sze­ne her­zie­hen, Richard Daw­kins schlecht­re­den, man darf sich auch über Micha­el Schmidt-Salo­mon auf­re­gen, man darf egal wel­chen inter­es­san­ten Men­schen belei­di­gen oder sei­ne Wer­ke schmä­lern, man darf sogar kom­plett ver­blö­de­te poli­ti­sche Initia­ti­ven lan­cie­ren, die mich ohne Ende flu­chen und fremd­schä­men las­sen. Der Pein­lich­keits- und Stimm­volk-Hass­fak­tor bei so etwas däm­li­chem wie der Masseneinwanderungs‑, Verwahrungs‑, Mina­rett- oder Eco­pop-Initia­ti­ve war nicht zu unter­schät­zen. Aber nichts von alle­dem hat mich jemals dazu ver­an­lasst, dar­über nach­zu­den­ken, wofür ich ster­ben oder gar töten würde.

Bis jetzt. Men­schen­rech­te als Fun­da­ment von Demo­kra­tie sind par­tei­un­ab­hän­gig. Soll­te es dar­um gehen, die Men­schen­rech­te zu ver­tei­di­gen, müss­te ich wohl Micha­el Schmidt-Salo­mon bei sei­nen Zehn Ange­bo­ten des evo­lu­tio­nä­ren Huma­nis­mus recht geben. Für die Wah­rung die­ser durch unzäh­li­ge ande­re, teils namen­lo­se Men­schen erkämpf­ten Errun­gen­schaf­ten wür­de ich wohl mei­nen neu­zeit­li­chen Wunsch, weder zu ster­ben noch zu töten vor­über­ge­hend aufgeben.

Inso­fern hat der (der­zeit noch) amtie­ren­de Bun­des­rat Ueli Mau­rer mir (und eigent­lich allen in die­sem Land) den Krieg erklärt. Die Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, die Wah­rung der Men­schen­rech­te, die wich­tigs­ten und nütz­lichs­ten ethi­schen Errun­gen­schaf­ten der Mensch­heit über­haupt — wenn die­se auf dem Spiel ste­hen, dann wer­de ich mir sogar als Stadt­zür­che­rin eine Mist­ga­bel zulegen.

Zumin­dest die­ses Jahr lau­tet das The­ma der Ver­an­stal­tung der Zür­cher Frei­den­ke­rIn­nen zum Men­schen­rechts­tag noch so: «Von Koba­ne bis Kai­ro — die Men­schen­rechts­la­ge im Nahen Osten». Die Infos dazu sind hier: http://menschenrechtstag.ch. Ich hof­fe instän­dig, dass ich als Vor­stands­mit­glied der Zür­cher Frei­den­ke­rIn­nen nie­mals eine Ver­an­stal­tung zur «Lage der Men­schen­rech­te in der Schweiz» mit­or­ga­ni­sie­ren muss.

Ach, genau, die «Freidenker-Taliban»

Volksinitiative Trennung Staat und Kirche im Wallis

Säku­la­res Wal­lis Initiative

Die Wal­li­ser Frei­den­ke­rIn­nen haben eine muti­ge und erfreu­li­che kan­to­na­le Volks­in­itia­ti­ve zur Tren­nung von Staat und Kir­che im Wal­lis depo­niert. Ab dem 20. Juni 2014 kann gesam­melt wer­den. Hier fin­det man den Initia­tiv­text, die Pres­se­mit­tei­lung, die Argu­men­te und den Unter­schrif­ten­bo­gen.

Unse­re Wal­li­ser Freun­de haben bestimmt damit gerech­net, dass sich etwa eine CVP (Roman­die: PDC) nicht beson­ders erfreut zeigt. Jene wol­le die­se säku­la­re Initia­ti­ve «mit Nach­druck bekämp­fen». Schüt­zen­hil­fe — zumin­dest ver­ba­ler Natur — bekom­men die Par­teichris­ten auch von wei­te­ren rechts­bür­ger­li­chen Krei­sen. Die UDC (die SVP der Roman­die) bezeich­net die Frei­den­ke­rIn­nen näm­lich als «Tali­ban der Lai­zi­tät», die «dem Islam den Weg berei­ten» wol­le. Erst schies­sen, dann fra­gen. Logik ist sekun­där. So unge­wöhn­lich ist die­se Reak­ti­on nicht, wenn jemand am Sta­tus Quo alt­ein­ge­ses­se­ner und bequem ver­filz­ter Insti­tu­tio­nen rüttelt.

Nur weil etwas schon lan­ge da ist, muss es nicht erhal­tens­wert sein. Die Welt dreht und ent­wi­ckelt sich wei­ter. Das Kon­zept eines allwissenden/allmächtigen Herr­schafts­we­sens ist über­holt. Nicht ein­mal der Gross­teil der Kir­chen-Mit­glie­der hält sich an die Regeln der (hof­fent­lich frei­wil­lig und sorg­fäl­tig) selbst gewähl­ten eige­nen Reli­gi­on. Auch wenn viel­leicht die Reli­gi­on für eini­ge ein wich­ti­ges Ele­ment bleibt, ist die Ver­flech­tung der­sel­ben in den Staat ein schon lan­ge abschaf­fungs­wür­di­ges Relikt.

Will­kom­men in 2014. Ers­tens ist die Bevor­zu­gung der christ­li­chen Kir­chen als so genann­te Staats­kir­chen nur aus einem his­to­ri­schen Zufall ent­stan­den. Es gibt gar nichts, das die­se Bevor­zu­gung gegen­über ande­ren Glau­bens­ge­mein­schaf­ten heu­te noch rechtfertigt.

Glau­be ist frei­wil­lig… Glau­bens­frei­heit ist ein ver­fas­sungs­mäs­si­ges Recht. Die Tren­nung von Staat und Kir­che ist in demo­kra­ti­schen Län­dern ein fai­res und erfolg­rei­ches Modell. Nur sie gewährt den Gläu­bi­gen aller Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten die glei­chen, fai­ren Rech­te, den von ihnen frei­wil­lig gewähl­ten Glau­ben im sel­ben Rah­men aus­zu­üben, der auch Anhän­gern ande­rer Glau­bens­ge­mein­schaf­ten gege­ben ist. Das muss mög­lich sein, ohne inhalt­li­che oder unge­rech­te finan­zi­el­le Pri­vi­le­gi­en für alt­ein­ge­ses­se­ne «Platz­hir­sche».

… und Reli­gi­ons­frei­heit eben­falls. Nur die Ent­flech­tung von Staat und Kir­che gewährt auch der stark wach­sen­den Grup­pe nicht-reli­giö­ser Men­schen die Frei­heit, ihr Leben ohne jede reli­giö­se Beein­flus­sung füh­ren zu kön­nen. Und hier eben­falls: ohne die für AtheistInnen/AgnostikerInnen unlo­gi­schen Inhal­te reli­giö­ser Grup­pie­run­gen mit­fi­nan­zie­ren zu müssen.

Demo­kra­tie braucht Ethik, nicht Moral. Ein fai­rer, frei­er, demo­kra­ti­scher Staat basiert auf gemein­sam erar­bei­te­ten ethi­schen, juris­ti­schen und wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen. Nur so kann ein Staat einen guten Boden für die freie Ent­fal­tung Ein­zel­ner legen. Eine Ungleich­be­hand­lung ver­schie­de­ner Reli­gio­nen oder von Nicht-Reli­giö­sen wirkt sich nega­tiv auf den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt aus.

Spe­zi­a­l­ar­gu­ment für die SVP: Die SVP befürch­tet offen­bar, das Zurück­bin­den eini­ger Kir­chen­pri­vi­le­gi­en füh­re eine Art «Vaku­um» her­bei, das die Mus­li­me sofort aus­fül­len wür­den. Das ist doch über­haupt nicht logisch, wenn man die ein­zel­nen Men­schen und die all­ge­mei­ne Ent­wick­lung der letz­ten Jahr­zehn­te anschaut (es gibt eine Natio­nal­fonds­stu­die dazu). Ganz im Gegen­teil! Die­se Mass­nah­me greift schon jetzt den bereits auf­kei­men­den Gelüs­ten eini­ger mus­li­mi­scher Krei­se vor, die ger­ne eben­falls einen Teil der Kir­chen­steu­er­gel­der und sons­ti­gen Kir­chen­pri­vi­le­gi­en für sich hätten.

Eine Gleich­be­hand­lung aller Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten im Sin­ne die­ser Initia­ti­ve ist drin­gend fäl­lig. Anstatt aber nun wei­te­ren Glau­bens­grup­pie­run­gen mehr Rech­te und Res­sour­cen ein­zu­räu­men, ist es nicht nur ein­fa­cher, son­dern sowie­so durch die Zei­chen der Zeit ange­bracht und logisch, bestehen­de wider­sin­ni­ge Pri­vi­le­gi­en end­lich abzubauen.

Frank­reich hat das Lai­zi­täts­prin­zip schon län­ger gesetz­lich ver­an­kert. Die Kan­to­ne Genf und Neu­en­burg eben­falls. Kir­chen und Glau­bens­ge­mein­schaf­ten exis­tie­ren dort wei­ter, solan­ge es Leu­te gibt, die sie brau­chen. Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten kön­nen sich als Ver­ei­ne orga­ni­sie­ren und wer­den sich als sol­che gleich­be­rech­tigt an gel­ten­des Schwei­zer Recht hal­ten müs­sen. Genau wie es ande­re Ver­ei­ne tun, die sogar ohne staat­li­che Unter­stüt­zung und Pri­vi­le­gi­en schon ein Weil­chen exis­tie­ren. Neben­bei: Die Frei­den­ke­rIn­nen gibt es in der heu­ti­gen Form qua­si seit 1908.

 

Bei uns werden die Kinder bluten. Aber freiwillig - und nur fürs Mikroskop. Campquest.ch

CampQuest.ch — die Kin­der wer­den bluten! 😉

Camp Quest, das wis­sen­schaft­lich-huma­nis­ti­sche Som­mer­la­ger ist für Kin­der und Jugend­li­che von 9 bis 15 Jah­ren aus­ge­legt. Die­ses Jahr fin­det es erst­mals auch in der Schweiz statt: vom 4. — 10. August 2013 in Mundaun bei Obersaxen/GR. Das Pro­gramm kann sich sehen las­sen und dürf­te auch in den gröss­ten Schul­muf­feln wenigs­tens ein biss­chen Inter­es­se für wis­sen­schaft­li­che The­men wecken. Bit­te bald anmel­den — die Plät­ze sind begrenzt!

«Bewusstsein = Leben» oder «Leben = Bewusstsein»?

An der Dele­gier­ten­ver­samm­lung vom 26.05.2013 der Schwei­zer Frei­den­ke­rIn­nen erfüll­ten die Teil­neh­me­rIn­nen nicht nur ihre Auf­ga­be zur Wahl eines neu­en Prä­si­di­ums (sie­he hier), son­dern konn­ten auch ein Refe­rat des frei­en Phi­lo­so­phen Imre Hof­mann mit anschlies­sen­der Dis­kus­si­ons­run­de ver­fol­gen. Das The­ma dreh­te sich um die phi­lo­so­phi­sche Sicht aufs Human Brain Pro­ject — und um die Fra­ge: «Steckt ein Geist in der Maschi­ne?». Anlass dazu war die kürz­li­che Ver­ga­be gros­ser EU-Geld­be­trä­ge an das Projekt.

Die Idee hin­ter dem Pro­jekt ist ambi­ti­ös: Das gesam­te bis­her vor­han­de­ne Wis­sen übers mensch­li­che Gehirn sam­meln und zusam­men­füh­ren, mit der Absicht, die­ses so weit wie mög­lich in einer IT-basier­ten Simu­la­ti­on abzu­bil­den. Der Zweck könn­te sein, bei man­chen Expe­ri­men­ten oder bei der Erfor­schung von Behand­lungs­mög­lich­kei­ten bei gewis­sen Erkran­kun­gen nicht auf mensch­li­che Ver­suchs­ka­nin­chen ange­wie­sen zu sein. Ein gros­ser Teil des Pro­jekts wird sich der Fra­ge wid­men, wie bereits weni­ge neu­ro­na­le Zel­len über­haupt inter­agie­ren. Aber die Idee, ein mensch­li­ches Gehirn — viel­leicht als gan­zes — simu­lie­ren zu wol­len, wirft ein paar ethi­sche Fra­gen auf.

Imre Hoff­mann leg­te gegen­über dem Publi­kum sei­ne Zwei­fel dar, ob er aus phi­lo­so­phi­scher Sicht über­haupt etwas zum The­ma bei­tra­gen kön­ne. Die am HBP Betei­lig­ten ver­mei­den kon­se­quent Wör­ter wie «Psy­che» oder «Bewusst­sein». Jeder Ver­such, ein Gehirn in einem Com­pu­ter abzu­bil­den, kann nur eine gro­be Skiz­ze sein. Ver­gleich­bar mit einer Land­kar­te, die zwar zei­gen kann, wo sich wel­che Regi­on befin­det, aber kei­ne Aus­kunft dar­über gibt, wie es an die­ser oder jener Stel­le wirk­lich aussieht/riecht/klingt, wie sich gar der Boden beim Drü­ber­lau­fen anfühlt oder wem man dort begeg­net. Jene Punk­te, die den Phi­lo­so­phen wirk­lich inter­es­sie­ren, kom­men in den offi­zi­el­len Doku­men­ten des HBP nach Hof­manns Aus­sa­ge kaum aufs Tapet. Sei es, weil die For­sche­rIn­nen die­se Punk­te viel­leicht schon bei der For­schungs­ar­beit gezielt aus­klam­mern, sei es, weil sie kei­ne Wahr­schein­lich­keit sehen, dass ihr Pro­jekt so weit fort­schrei­ten könn­te oder sei es, weil es sich aus mar­ke­ting­tech­ni­schen Grün­den bes­ser macht, kei­ne Ängs­te zu wecken. Ich tip­pe eher auf die Punk­te 2 und 1. Aber was, wenn doch? Laut Imre Hof­mann steckt kein Geist in der Maschi­ne. Das, was eine Per­son aus­macht, kann auch durch moderns­te Ent­wick­lun­gen in der IT kei­nen Boden — bzw. pas­sen­de Hard­ware — für eine sol­che Annah­me liefern.

Was ist das Bewusstsein?

Extra­po­liert oder ska­liert man die Idee, an einer Hand­voll Zel­len zu for­schen auf die For­schung an einer kom­plet­ten Simu­la­ti­on des Gehirns, stel­len sich für mich per­sön­lich die ethi­schen Fra­gen ein. Wie genau lässt sich ein Gehirn als Simu­la­ti­on abbil­den? Wem nützt die­se Simu­la­ti­on? Und wo ste­hen die Gren­zen? Eine in zahl­rei­chen Sci­ence-Fic­tion-Roma­nen oder ‑Fil­men bekann­te Abbil­dung eines gesam­ten Gehirns inklu­si­ve Bewusst­sein ist illu­so­risch (nur schon in den ver­schie­de­nen StarT­rek-Seri­en gab es wohl min­des­tens drei sol­che Episoden).

Die HBP-For­sche­rIn­nen wol­len die­ses Sze­na­rio aus­klam­mern. Die Ansamm­lung ein­zel­ner Zel­len — sogar, wenn es vie­le wären — wäre noch weit davon ent­fernt, etwas zu bil­den, das eine Psy­che ent­wi­ckeln könn­te. Aber ohne Ver­schwö­rungs­theo­rien wecken zu wol­len, wür­de es mich inter­es­sie­ren: Was geschieht, wenn die Simu­la­ti­on dem mensch­li­chen Gehirn nahe genug kommt, um trotz­dem eine Art von Bewusst­sein zu ent­wi­ckeln? Wor­an erkennt man Bewusst­sein? Reicht eine Reak­ti­on auf die Umwelt aus, um ein Bewusst­sein nach­zu­wei­sen? Hat ein Nes­sel­tier im Meer ein Bewusst­sein, weil es auf sei­ne Umge­bung reagiert? Oder sind das nur «dum­me» Reak­tio­nen sei­nes Ner­ven­sys­tems? Imre Hof­mann beant­wor­tet die Fra­ge nach dem Bewusst­sein damit, dass jedes Wesen oder Ding selbst für sich ent­schei­den muss, ob es ein Bewusst­sein hat. Das Bewusst­sein des Gegen­übers liegt somit nur in unse­rem Ermes­sens- und Erwar­tungs­spiel­raum. Das mag stim­men, aber es zeigt nicht, wie wir mit ande­ren Wesen/Dingen umge­hen, die mut­mass­lich eines haben. Hat alles, was lebt, eine Art von Bewusst­sein? Oder zäh­len wir etwas, das ein Bewusst­sein hat, auto­ma­tisch zu den Lebewesen?

Schal­tet den Andro­iden aus

Falls eine Simu­la­ti­on etwas wie ein Bewusst­sein ent­wi­ckeln könn­te, dürf­te man sie dann auch nach Gut­dün­ken abschal­ten? Hier stel­le ich ger­ne den Bezug zu einer Star Trek TNG Fol­ge her, in der es dar­um geht, ob der Andro­ide namens «Data» von einem über­eif­ri­gen Wis­sen­schaf­ter aus der Crew genom­men und zu For­schungs­zwe­cken zer­legt wer­den darf. Die Vehe­menz, mit der Data um sei­nen Ver­bleib in der Crew und gegen sei­ne Zer­le­gung kämpft, ist in der Fol­ge auch ein Grund für die Rich­te­rin, ihm ein Bewusst­sein und ein Selbst­be­stim­mungs­recht zu attestieren.

Aber zurück zur Gegen­wart und nahen Zukunft. Die aktu­el­len Ver­su­che beschrän­ken sich auf ein paar Ner­ven­zel­len. Die Simu­la­ti­on fin­det in vie­len Gross­rech­nern ver­teilt statt. Den Andro­iden «Data» wird es nicht so bald geben, schon weil die Rechen­ka­pa­zi­tät auf die­sem Raum nicht Platz hät­te, zumal der Kör­per auch noch unzäh­li­ge Bewe­gungs­mo­to­ren ent­hal­ten müss­te. Wenn Sony einen klei­nen zwei­bei­ni­gen Robo­ter ent­wi­ckelt, ist es schon eine Höchst­leis­tung, wenn die­ser nicht bei jeder Tür­schwel­le auf die Nase fällt. Und dabei hat er noch nicht intel­li­gent auf sei­ne Umwelt reagiert.

Ein durch Com­pu­ter simu­lier­tes Gehirn ent­spricht nicht dem Gehirn eines ech­ten Lebe­we­sens. Das kann es schon nicht, weil es auf gewis­se Rei­ze nicht adäquat reagie­ren kann. Es hat ja einer­seits den Zweck, mensch­li­ches Ver­hal­ten zu imi­tie­ren, ande­rer­seits soll es qua­si ein Mensch sein.

Neh­men wir das simp­le Bei­spiel: Ein Glas Was­ser kann für einen ech­ten Men­schen das Über­le­ben bedeu­ten. Wür­de man das Gehirn des Men­schen simu­lie­ren, müss­te die Simu­la­ti­on nur vor­ge­ben, ein Glas Was­ser für über­le­bens­wich­tig zu hal­ten. In Wahr­heit ist Was­ser ent­we­der kom­plett irrele­vant oder sogar schäd­lich für den Metal­l/­Plas­tik-Kas­ten, in wel­chem das simu­lier­te Gehirn steckt. Etwas, das ein Bewusst­sein hat, weiss auch um sei­ne eige­ne Situa­ti­on. Und da haben wir es. Behaup­tet das simu­lier­te Gehirn, es brau­che Was­ser, lügt es. Ein Mensch wür­de den Was­ser­be­darf aber nie­mals abstrei­ten. Die Simu­la­ti­on kann also behaup­ten, Was­ser zu brau­chen, was eine Lüge wäre (und sie als nicht mensch­lich taxie­ren wür­de) oder nicht zu brau­chen, womit die Simu­la­ti­on dann nicht mehr men­schen­ähn­lich wäre. Sobald eine Simu­la­ti­on des mensch­li­chen Gehirns ein Bewusst­sein ent­wi­ckelt, ist es kei­ne Simua­ti­on mehr, son­dern etwas Neues.