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«Bewusstsein = Leben» oder «Leben = Bewusstsein»?

An der Dele­gier­ten­ver­samm­lung vom 26.05.2013 der Schwei­zer Frei­den­ke­rIn­nen erfüll­ten die Teil­neh­me­rIn­nen nicht nur ihre Auf­ga­be zur Wahl eines neu­en Prä­si­di­ums (sie­he hier), son­dern konn­ten auch ein Refe­rat des frei­en Phi­lo­so­phen Imre Hof­mann mit anschlies­sen­der Dis­kus­si­ons­run­de ver­fol­gen. Das The­ma dreh­te sich um die phi­lo­so­phi­sche Sicht aufs Human Brain Pro­ject — und um die Fra­ge: «Steckt ein Geist in der Maschi­ne?». Anlass dazu war die kürz­li­che Ver­ga­be gros­ser EU-Geld­be­trä­ge an das Projekt.

Die Idee hin­ter dem Pro­jekt ist ambi­ti­ös: Das gesam­te bis­her vor­han­de­ne Wis­sen übers mensch­li­che Gehirn sam­meln und zusam­men­füh­ren, mit der Absicht, die­ses so weit wie mög­lich in einer IT-basier­ten Simu­la­ti­on abzu­bil­den. Der Zweck könn­te sein, bei man­chen Expe­ri­men­ten oder bei der Erfor­schung von Behand­lungs­mög­lich­kei­ten bei gewis­sen Erkran­kun­gen nicht auf mensch­li­che Ver­suchs­ka­nin­chen ange­wie­sen zu sein. Ein gros­ser Teil des Pro­jekts wird sich der Fra­ge wid­men, wie bereits weni­ge neu­ro­na­le Zel­len über­haupt inter­agie­ren. Aber die Idee, ein mensch­li­ches Gehirn — viel­leicht als gan­zes — simu­lie­ren zu wol­len, wirft ein paar ethi­sche Fra­gen auf.

Imre Hoff­mann leg­te gegen­über dem Publi­kum sei­ne Zwei­fel dar, ob er aus phi­lo­so­phi­scher Sicht über­haupt etwas zum The­ma bei­tra­gen kön­ne. Die am HBP Betei­lig­ten ver­mei­den kon­se­quent Wör­ter wie «Psy­che» oder «Bewusst­sein». Jeder Ver­such, ein Gehirn in einem Com­pu­ter abzu­bil­den, kann nur eine gro­be Skiz­ze sein. Ver­gleich­bar mit einer Land­kar­te, die zwar zei­gen kann, wo sich wel­che Regi­on befin­det, aber kei­ne Aus­kunft dar­über gibt, wie es an die­ser oder jener Stel­le wirk­lich aussieht/riecht/klingt, wie sich gar der Boden beim Drü­ber­lau­fen anfühlt oder wem man dort begeg­net. Jene Punk­te, die den Phi­lo­so­phen wirk­lich inter­es­sie­ren, kom­men in den offi­zi­el­len Doku­men­ten des HBP nach Hof­manns Aus­sa­ge kaum aufs Tapet. Sei es, weil die For­sche­rIn­nen die­se Punk­te viel­leicht schon bei der For­schungs­ar­beit gezielt aus­klam­mern, sei es, weil sie kei­ne Wahr­schein­lich­keit sehen, dass ihr Pro­jekt so weit fort­schrei­ten könn­te oder sei es, weil es sich aus mar­ke­ting­tech­ni­schen Grün­den bes­ser macht, kei­ne Ängs­te zu wecken. Ich tip­pe eher auf die Punk­te 2 und 1. Aber was, wenn doch? Laut Imre Hof­mann steckt kein Geist in der Maschi­ne. Das, was eine Per­son aus­macht, kann auch durch moderns­te Ent­wick­lun­gen in der IT kei­nen Boden — bzw. pas­sen­de Hard­ware — für eine sol­che Annah­me liefern.

Was ist das Bewusstsein?

Extra­po­liert oder ska­liert man die Idee, an einer Hand­voll Zel­len zu for­schen auf die For­schung an einer kom­plet­ten Simu­la­ti­on des Gehirns, stel­len sich für mich per­sön­lich die ethi­schen Fra­gen ein. Wie genau lässt sich ein Gehirn als Simu­la­ti­on abbil­den? Wem nützt die­se Simu­la­ti­on? Und wo ste­hen die Gren­zen? Eine in zahl­rei­chen Sci­ence-Fic­tion-Roma­nen oder ‑Fil­men bekann­te Abbil­dung eines gesam­ten Gehirns inklu­si­ve Bewusst­sein ist illu­so­risch (nur schon in den ver­schie­de­nen StarT­rek-Seri­en gab es wohl min­des­tens drei sol­che Episoden).

Die HBP-For­sche­rIn­nen wol­len die­ses Sze­na­rio aus­klam­mern. Die Ansamm­lung ein­zel­ner Zel­len — sogar, wenn es vie­le wären — wäre noch weit davon ent­fernt, etwas zu bil­den, das eine Psy­che ent­wi­ckeln könn­te. Aber ohne Ver­schwö­rungs­theo­rien wecken zu wol­len, wür­de es mich inter­es­sie­ren: Was geschieht, wenn die Simu­la­ti­on dem mensch­li­chen Gehirn nahe genug kommt, um trotz­dem eine Art von Bewusst­sein zu ent­wi­ckeln? Wor­an erkennt man Bewusst­sein? Reicht eine Reak­ti­on auf die Umwelt aus, um ein Bewusst­sein nach­zu­wei­sen? Hat ein Nes­sel­tier im Meer ein Bewusst­sein, weil es auf sei­ne Umge­bung reagiert? Oder sind das nur «dum­me» Reak­tio­nen sei­nes Ner­ven­sys­tems? Imre Hof­mann beant­wor­tet die Fra­ge nach dem Bewusst­sein damit, dass jedes Wesen oder Ding selbst für sich ent­schei­den muss, ob es ein Bewusst­sein hat. Das Bewusst­sein des Gegen­übers liegt somit nur in unse­rem Ermes­sens- und Erwar­tungs­spiel­raum. Das mag stim­men, aber es zeigt nicht, wie wir mit ande­ren Wesen/Dingen umge­hen, die mut­mass­lich eines haben. Hat alles, was lebt, eine Art von Bewusst­sein? Oder zäh­len wir etwas, das ein Bewusst­sein hat, auto­ma­tisch zu den Lebewesen?

Schal­tet den Andro­iden aus

Falls eine Simu­la­ti­on etwas wie ein Bewusst­sein ent­wi­ckeln könn­te, dürf­te man sie dann auch nach Gut­dün­ken abschal­ten? Hier stel­le ich ger­ne den Bezug zu einer Star Trek TNG Fol­ge her, in der es dar­um geht, ob der Andro­ide namens «Data» von einem über­eif­ri­gen Wis­sen­schaf­ter aus der Crew genom­men und zu For­schungs­zwe­cken zer­legt wer­den darf. Die Vehe­menz, mit der Data um sei­nen Ver­bleib in der Crew und gegen sei­ne Zer­le­gung kämpft, ist in der Fol­ge auch ein Grund für die Rich­te­rin, ihm ein Bewusst­sein und ein Selbst­be­stim­mungs­recht zu attestieren.

Aber zurück zur Gegen­wart und nahen Zukunft. Die aktu­el­len Ver­su­che beschrän­ken sich auf ein paar Ner­ven­zel­len. Die Simu­la­ti­on fin­det in vie­len Gross­rech­nern ver­teilt statt. Den Andro­iden «Data» wird es nicht so bald geben, schon weil die Rechen­ka­pa­zi­tät auf die­sem Raum nicht Platz hät­te, zumal der Kör­per auch noch unzäh­li­ge Bewe­gungs­mo­to­ren ent­hal­ten müss­te. Wenn Sony einen klei­nen zwei­bei­ni­gen Robo­ter ent­wi­ckelt, ist es schon eine Höchst­leis­tung, wenn die­ser nicht bei jeder Tür­schwel­le auf die Nase fällt. Und dabei hat er noch nicht intel­li­gent auf sei­ne Umwelt reagiert.

Ein durch Com­pu­ter simu­lier­tes Gehirn ent­spricht nicht dem Gehirn eines ech­ten Lebe­we­sens. Das kann es schon nicht, weil es auf gewis­se Rei­ze nicht adäquat reagie­ren kann. Es hat ja einer­seits den Zweck, mensch­li­ches Ver­hal­ten zu imi­tie­ren, ande­rer­seits soll es qua­si ein Mensch sein.

Neh­men wir das simp­le Bei­spiel: Ein Glas Was­ser kann für einen ech­ten Men­schen das Über­le­ben bedeu­ten. Wür­de man das Gehirn des Men­schen simu­lie­ren, müss­te die Simu­la­ti­on nur vor­ge­ben, ein Glas Was­ser für über­le­bens­wich­tig zu hal­ten. In Wahr­heit ist Was­ser ent­we­der kom­plett irrele­vant oder sogar schäd­lich für den Metal­l/­Plas­tik-Kas­ten, in wel­chem das simu­lier­te Gehirn steckt. Etwas, das ein Bewusst­sein hat, weiss auch um sei­ne eige­ne Situa­ti­on. Und da haben wir es. Behaup­tet das simu­lier­te Gehirn, es brau­che Was­ser, lügt es. Ein Mensch wür­de den Was­ser­be­darf aber nie­mals abstrei­ten. Die Simu­la­ti­on kann also behaup­ten, Was­ser zu brau­chen, was eine Lüge wäre (und sie als nicht mensch­lich taxie­ren wür­de) oder nicht zu brau­chen, womit die Simu­la­ti­on dann nicht mehr men­schen­ähn­lich wäre. Sobald eine Simu­la­ti­on des mensch­li­chen Gehirns ein Bewusst­sein ent­wi­ckelt, ist es kei­ne Simua­ti­on mehr, son­dern etwas Neues.